Wir haben ihn auf unser Auto gehoben und sind zum Friedhof gefahren. Seine Familie war nicht mehr in der Stadt. Nur noch sein Bruder konnte ihn bestatten.
Etwa drei Monate waren dieses Erlebnis und der letzte Beschuss her. Es war spät in der Nacht und wir waren bei meiner Tante im Haus. Plötzlich wurden wir bombardiert. Alle drei Minuten kam eine große tödliche Mörser-Granate. Wir waren im obersten Stockwerk und rannten ins nächste Badezimmer, wo wir uns in die Ecke kauerten. Die Stadt wurde bestimmt schon zehn Minuten beschossen und bombardiert, da schlug ich vor, dass wir versuchen sollten, drei Stockwerke nach unten in den Keller oder raus zu kommen. Keine Minute nach meinem Vorschlag, schlug eine riesige Mörser-Granate im Nachbarhaus ein und alle Türen im Haus meiner Tante wurden aufgesprengt. Böse und ängstlich bettelte ich meinen Cousin an:“Ich will nicht unter Trümmern sterben. Ich will draußen sterben, damit unsere Familien uns finden können. Es weiß doch keiner, dass wir hier sind. Bitte komm mir nach! Ich gehe jetzt.“ Ich bin gegangen und er folgte mir. Wir hatten gerade die Straße erreicht, da flog eine Granate durch das Fenster des Hauses meiner Tante. Alles stürzte ein. Wir sind dann in den Keller gegangen. Dort waren alle meine Cousins und Freunde.
Mein Vater erfuhr am nächsten Tag, was in dieser Nacht passiert war. Er war sauer, traurig und hatte riesige Angst um mich. „Bitte bleib nicht da, komm einfach zu uns“, meinte er, doch ich wollte bleiben. Ich wollte bei meinen Freunden und Cousins bleiben und die Stadt verteidigen. „Du bist erst 13 Jahre. Das kannst du nicht schaffen“, redete mein Vater auf mich ein, doch ich ließ mich nicht überreden.
Nach etwa einem Monat begannen die Bombardierungen erneut. Ich war gerade mit einigen Leuten auf einem nahe gelegenen Berg um die Gegend zu kontrollieren, als wir mit ansehen mussten, wie unsere Stadt angegriffen wurde. Dabei kamen sehr viele Menschen ums Leben. Darunter auch viele Freunde unserer Familie.
Mein Vater rief mich einige Tage danach an: „Yousef bereite dich vor, ich hole dich morgen ab! Wir werden in die Türkei gehen“. Ich schrie ihn an, doch er legte einfach auf.
Mein Onkel erklärte mir, dass ich loslassen muss, dass es für diese Stadt keine Zukunft gibt. Man kann in dieser Stadt einfach nicht mehr leben, man muss gehen.
Am nächsten Tag kam meine Familie und unsere Reise begann.
Der Weg in die Türkei dauerte ein paar Tage. Doch es dauerte fast einen Monat bis wir eine Einreisegenehmigung bekamen und weiter nach Malatya durften. Also, türkische Männer haben uns dorthin in ein Flüchtlingslager gefahren. Hier hätten wir bleiben können, bis der Krieg irgendwann vorbei ist, oder weiter ziehen, aber dann darf man nicht wieder zurück. Im Lager lebten wir knapp ein Jahr mit 7 Personen in einem kleinen Container. Wir Jungs schliefen zu dritt in der Küche. Dort fand ich schnell Freunde, aber davon abgesehen, war unser Leben dort nicht gut - eher wie in einem netten Gefängnis. Irgendwann beschloss mein Vater deshalb, das Lager zu verlassen und nach Deutschland zu reisen. Wir hatten kein Geld, der Weg war sehr weit, die Sprache soll sehr schwer sein, warum sollten wir dort hin? „Dort ist es sicher und ihr könnt in die Schule gehen“, meinte mein Vater entschlossen, „einfach ist es nirgendwo, aber wenn wir zusammen in Freiheit und in Sicherheit sind und uns Mühe geben, können wir überall glücklich sein.“
Mein Vater stellte daraufhin einen Antrag und reiste allein über viele Etappen nach Deutschland. Wir wurden dann über die deutsche Botschaft in Ankara befragt, uns wurden unsere Visa ausgestellt und kurz darauf, im Juni 2015 sind wir alle nach Deutschland geflogen.
Hier durften wir nach zwei Monaten endlich wieder in die Schule. Hier habe ich neue Freunde gefunden und hier leben wir endlich frei und sicher.
Jetzt wisst ihr, warum ich hier bin. Und auch, warum die anderen, die ihre Geschichte zuvor mit euch geteilt haben, hier sind
Wir sind alle hier.
Aber wo ist hier?
Wir sind alle in Deutschland. Wir sind alle in Hanau. Wir sind alle zusammen in einer Schule, in einer Klasse.
Wir sind nicht nur „die Ausländer“ oder „die Flüchtling“.
Jeder von uns hat eine Geschichte. Die meisten haben eine sehr traumatische Geschichte, aber jeder von uns hat noch sein Leben. Dieses Leben und jedes andere menschliche Leben müssen wir schützen!
Wir haben die Sprache gelernt und unsere Stimme gefunden. Danke!