Hallo,
ich bin Kurde und in Syrien geboren. Als ich fünf Jahre alt war, brachte mich meine Mutter in die Schule. Es war mein erster Schultag. Ich war sehr ängstlich und wollte direkt nach Hause zurück, weil ich dort niemanden kannte und meine Mutter nicht verlassen wollte. Ab dem zweiten Tag kannte ich meine Klassenkameraden und einige andere Schüler, aber ich hatte immer noch so viel Angst, dass ich in der Pause zu meiner Mutter zurück bin. Irgendwann bekam dies meine Nachbarin mit. Sie war bereits in der 10. Klasse und liebte mich sehr. Sie stellte mir dann viele Schüler vor und passte in den Pausen auf mich auf. Seit dem bin ich gerne in die Schule gegangen und immer besser geworden. Besonders im Sportunterricht. In dieser Schule gab es übrigens keine Sporthalle wie hier. Der Unterricht fand auf dem Platz statt, auf dem man auch Pause machte.
Der Krieg begann als ich in der 5. Klasse war. Am 04.06.2011 um 5:30Uhr wurde ich durch laute Schreie und die Stimmen der Waffen geweckt. Meine Schwestern weinten. Wir haben noch in dieser Nacht unser Zuhause verlassen und sind in die drei Kilometer entfernte Stadt Aleppo gegangen. Dort haben wir zwei Wochen gelebt, bevor wir weiter in die syrische Stadt Afrin reisten, wo meine Oma und mein Opa lebten. Hier ist aber alles viel teurer als in Aleppo gewesen. Wir wohnten mit zwei weiteren Familien in nur einem einzigen Zimmer.
Mein Vater ist dann allein in den Libanon gefahren, damit wir irgendwann besser leben können. Der Weg dorthin war sehr gefährlich. Wir machten uns große Sorgen und vermissten ihn. Erst nach drei Monaten kam er zurück. Ich weinte, als ich ihn sah, denn die Zeit ohne ihn war schlimm. Wir sind dann gemeinsam in den Libanon gefahren. Dort haben wir acht Monate in einem Zelt gewohnt und ich habe in einer Motorradwerkstatt gearbeitet.
Mein Onkel rief uns eines Tages aus der Türkei an und sagte, dass wir dort hin kommen sollen. Als wir etwas Geld zusammen hatten, mussten wir erst mal zurück ins Kriegsgebiet, wo wir vier Monaten im Krieg lebten, bevor wir die gefährliche Reise mit dem Bus nach Istanbul begannen. Zwei Jahre lebten wir dort. Ich arbeitete in einer Bäckerei.
Als Kurde hat man es in der Türkei allerdings nicht immer leicht. Dafür gibt es politische Gründe. Deshalb wollten wir dann weiter nach Deutschland reisen.
Wir sind nach Izmir gefahren. Da lebten wir zwei Wochen. Als das Boot endlich bereit war, haben die meisten Leute Angst bekommen, weil so viele Menschen schon im Wasser gestorben sind. Wir mussten dann noch eine Nacht warten, bevor wir und die restlichen Leute mit einem Auto an einen zwei Stunden entfernten Sammelplatz am Meer gebracht wurden.
Das Meer war schwarz und alles war dunkel.
Wir waren zusammen 47 Menschen, darunter viele Kinder und im Wasser war nur ein kleines Schlauchboot.
Wir mussten drei Meter ins Meer hinein, um uns dann eng zusammen auf das Boot zu drängen. Nachdem alle einen Platz gefunden hatten und wir zehn Meter gefahren waren, fiel der Motor des Bootes aus. Ab da mussten wir rudern. Das Schlauchboot schwankte stark und es kam immer wieder Wasser hinein. Die kleineren Kinder wurden in die Mitte gesetzt. Wir lasen aus dem Koran, um sie abzulenken.
Um 7:00Uhr morgens sind wir endlich in Griechenland angekommen. Alle haben vor Erleichterung geweint und danach gemeinsam das Schlauchboot kaputt gemacht.
Zwei Tage haben wir dort am Strand auf das große Schiff gewartet, das uns nach Serbien brachte. Von dort sind wir viel gelaufen und mit dem Zug gefahren. Wir waren in Bulgarien und Kroatien und irgendwann endlich in Deutschland. Und dann irgendwann endlich HIER.
Kriege sind nicht einfach zu ertragen. Sie machen den Kopf kaputt.
Bevor der Krieg anfing, war ich immer glücklich. Doch seit der Krieg begann, fürchtete ich nur noch um das Leben meiner Freunde, meiner Familie und um mein eigenes Leben. Immer muss ich daran denken und werde sauer. Ich habe meine Gefühle seitdem nicht mehr unter Kontrolle. Mein Körper reagiert sofort. Ich habe keine Geduld mehr.
Früher war ich ganz anders. Das Erlebte, dieser Krieg hat meine Persönlichkeit verändert und meinen Kopf kaputt gemacht.